Zurück zu den Schlüsselsituationen

Standortgespräche führen / Probezeit Jugendwohnheim

  • Grundsätzlich sind für die Klientel wichtige Menschen (bspw. Eltern, Vertrauenspersonen) sowie alle Fachpersonen aus der intra- und interprofessionellen Zusammenarbeit am Standortgespräch beteiligt
  • Das Standortgespräch ermöglicht der Klientel grundsätzlich Selbst- und Fremdeinschätzung hinsichtlich der eigenen Entwicklung zu einem aktuellen Zeitpunkt; dabei werden sowohl die Vergangenheit (Rückblick) als auch die Zukunft (Ausblick) miteinbezogen
  • Das Standortgespräch dient der Auswertung allfällig bestehender Vereinbarungen, Entwicklungsplanungen etc. sowie der Planung künftiger Entwicklungsziele
  • Das Standortgespräch bietet den Raum, um unterschiedliche Wahrnehmungen und Perspektiven der Beteiligten auszutauschen und für die weitere Zusammenarbeit benötigte Verantwortlichkeiten zu vereinbaren

Kontext

Klärungs- und Auswertungsgespräch mit einer Jugendlichen während ihrer Probezeit in einem Jugendwohnheim. Für die Situation relevant: Neueintritte werden jeweils einer mehrwöchigen Probezeit unterzogen, während der alle beteiligten internen Fachkräfte (Sozialpädagogik, Therapie, Schule) einschätzen, ob der stationäre Aufenthalt für die betreffenden Jugendlichen angebracht ist.

Absprache im Vorfeld eines Gespräches

Klientin X befindet sich in der dritten Woche – und somit entscheidenden Phase – ihrer Probezeit. Im Vorfeld ihrer Schnupperwochen hat X eigene Ziele definiert (JP2) und von den beteiligten Fachkräften gehört, was zusätzlich von ihr erwartet wird und an welche Bedingungen der definitive Aufenthalt geknüpft ist. Da viele ihrer selbsterklärten Ziele nicht eingehalten werden konnten, beschliesst der PSA (Gruppenleiter), sie in einem Gespräch mit der momentanen Situation zu konfrontieren. Dafür bittet er den SPiA (Sozialpädagogen in Ausbildung) dem Gespräch beizusitzen und sich einzubringen, zumal dem PSA aufgefallen ist, dass es dem SPiA in den letzten Wochen mehrmals gelungen ist, mit X positiv in Beziehung zu treten. Vor dem Gespräch setzten sich der PSA und der SPiA zusammen, tauschen sich gründlich aus und besprechen die mögliche Gangart während des Gesprächs. Ausserdem lesen beide zur Vorbereitung das Eintrittsprotokoll von X und die darin festgehaltenen Zielvereinbarungen. Abgemacht ist, dass der PSA das Gespräch eröffnet und leitet. Der SPiA soll sich im Verlauf des Gesprächs einbringen.

JP2: oder: wurden mit X Ziele definiert. Hier stellt sich immer die Frage, wie frei Jugendliche in solchen Kontexten eigene Ziele definieren können.

Erste Sequenz: Zum Gespräch bitten

Die PSA und SPiA beschliessen, das Gespräch noch am selben Nachmittag durchführen zu wollen und gehen nach gemeinsamer Vorbereitungszeit beide auf X zu, um sie zum Gespräch zu bitten. Der PSA informiert X mit ruhiger aber abgeklärter Stimmlage zum bevorstehenden Gespräch (Auswertung von Zielvereinbarungen) und gibt bekannt, dass dieses sogleich stattfinden soll. X reagiert genervt und äussert ihr Desinteresse, kommt aber widerwillig mit. PSA, SPiA und X setzen sich zu dritt ins Sitzungszimmer. Dabei werden die Stühle mit gleichem Abstand in einem Dreieck aufgestellt.

Reflection in Action

Emotion Klient/in: Leicht überrascht, überrumpelt. Dann genervt: „Immer wollen alle etwas von mir“. Trotz Auflehnung gegen das Gespräch keine Verweigerung, sondern Überwindung mitzugehen. 

Emotion Professionelle/r: Weiterhin eine innere Anspannung spürbar. Die abwehrende Haltung von X war zwar zu erwarten, verstärkt aber die Erwartung/ Befürchtung eines schwierigen Gesprächs umso mehr. 

Kognition Professionelle/r: Die Rolle der Autoritätspersonen wahren. Dabei werden die Erwartungen von Seiten der PSA der Klientin klar und verständlich überbracht. Sicheres und überzeugtes Auftreten der PSA lässt der Klientin wenig Möglichkeit zur Gegenwehr. Gesprächssetting bewusst so gestalten, dass es förderlich fürs Gespräch ist (ruhiger Ort, Stühle im Dreieck).

 Zweite Sequenz: Einstieg ins Gespräch

PSA, SPiA und X setzen sich auf die Stühle. Dabei nimmt X sogleich eine lustlose Körperhaltung ein. Sie setzt sich im Schneidersitz auf den Stuhl, wendet sich vom PSA ab, dem SPiA zu, legt den Kopf in den Nacken und schaut immer wieder aus dem Fenster. Der PSA eröffnet das Gespräch mit einer ersten Frage an X: nämlich ob sie sich noch an ihre Zielvereinbarungen erinnern könne und ob sie die einzelnen Vereinbarungen noch benennen könne. X antwortet nach langem Schweigen mit leiser, etwas gereizter Stimme, kann aber alle Ziele sehr detailliert benennen. Während sie spricht klingt ihre Stimme zunehmend verzweifelt und traurig. Weiterhin schaut sie den PSA nicht an, sondern aus dem Fenster. Körper in Richtung SPiA gewendet.

Reflection in Action

Emotion Klient/in: Kurz gereizt, will eigentlich gar nicht hier sitzen und antworten. Dann aber mit jedem Satz emotionaler, trauriger und niedergeschlagener. Sie merkt selbst, während sie spricht, dass sie ihre Ziele nicht erreichen konnte.

Emotion Professionelle/r: Das gesamte Szenario und die spürbare Verzweiflung von X löst im SPiA Betroffenheit aus. Emotional schwankt der SPiA zwischen zwei Gedanken: „X muss unbedingt geholfen werden“ und „X trägt sehr viel Eigenschuld und Eigenverantwortung an ihrer jetzigen Situation“. Der SPiA ist zudem wirklich erstaunt, wie bewusst X ihre eigenen Ziele sind.

Kognition Professionelle/r: Gespräch mit einer offenen Frage eröffnen, um der Klientin Raum zum Sprechen zu ermöglichen. Aufkommende Gefühle der Betroffenheit während des Gesprächs wahrnehmen.

 Dritte Sequenz: Übernahme der Gesprächsführung durch den SPiA

Der SPiA lässt X ausreden, wartet dann eine Weile und fragt X, ob sie der Meinung ist, ihre Ziele bisher erreicht zu haben. X schaut zum ersten Mal vom Fenster weg, fixiert den SPiA und antwortet nur mit „Nein, glaub ich nicht“. Die Frage des SPiAs, welche Lösungen X selbst für das Erreichen ihrer Ziele habe und ob sich X ihrer kritischen Lage bewusst sei, bleibt von X unbeantwortet. Der SPiA macht X klar, dass auch die Erwachsenen sich an den von ihr gesetzten Zielen orientieren und wie wichtig diese für die gemeinsame Arbeit und den definitiven Aufenthalt im Wohnheim sind. X nickt, schaut aber wieder aus dem Fenster und bleibt wortkarg. Weitere Fragen und Anmerkungen (auch durch den PSA) bleiben unbeantwortet.

Reflection in Action

Emotion Klient/in: Plötzlich sehr wortkarg und scheinbar abwesend. Wenig Emotionen spürbar. Resignation.

Emotion Professionelle/r: Bestrebt X klarzumachen, dass von ihr hier viel erwartet wird, dass man es ihr aber auch zutraut, all diese Erwartungen zu erfüllen. Etwas verzweifelt, weil X wenig darauf reagiert. 

Kognition Professionelle/r: Klientin mit dem Ernst der Lage konfrontieren ohne belehrend zu wirken. Authentisch bleiben und der Klientin spiegeln, dass die Vorfälle und jetzige Situation für alle Beteiligten ein Problem darstellen. Mehrere Versuche, die Klientin wieder ins Gespräch mit einzubinden, um gemeinsam nach Lösungswegen zu suchen.

 Vierte Sequenz: Beendigung eines Gesprächs

Nach mehreren erfolglosen Versuchen von dem SPiA, X wieder ins Gespräch mit einzubinden, macht der PSA ihr klar, dass ihr jetziges Verhalten die Gesamtsituation erheblich erschwere. So könne niemand mit ihr zusammenarbeiten. Ihre Verweigerung an der Zusammenarbeit sei schlussendlich auch als deutliches Zeichen ihrerseits zu werten und lege dem weiteren Aufenthalt im Wohnheim Steine in den Weg. Das Gespräch wird beendet. X läuft mit gesenktem Körper, sich schleppend, aus dem Raum.

Reflection in Action

Emotion Klient/in: Traurig. Enttäuscht über sich selbst und ihre Verweigerung.

Emotion Professionelle/r: Unzufrieden mit dem Gespräch und seinem Ende. Unzufrieden damit, dass X einen verlorenen/ traurigen Eindruck hinterlässt und trotzdem keine Hilfe annehmen wollte und nicht aufs Gespräch eingegangen ist. Beschäftigt sich noch lange mit der Frage, warum X sich dermassen verweigert.

Kognition Professionelle/r: Die Verweigerung der Klientin hinnehmen und aufgrund dessen das Gespräch beenden. Die Klientin in ihrer Verweigerung ernst nehmen und als Zeichen interpretieren. Die Grenzen der Gesprächsführung akzeptieren.

Frage steht im Raum, ob der PSA und SPiA etwas falsch gemacht haben. Wie hätte man dieses Gespräch anders führen können? Wäre etwas anderes dabei rausgekommen?

5.1      Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?

Welche Rolle spielt die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern bei einem konfrontativen, kritikhaltigen Gespräch?

Grundsätzlich wird immer davon ausgegangen, dass die Voraussetzung für gelingende Kommunikation eine stabile, positive Beziehung ist. Auch Carl Rogers ging davon aus, dass im beraterischen/ therapeutischen Setting die Beziehung viel dazu beiträgt, wie sehr sich der Klient, die Klientin auf die Beraterin/ den Berater einlassen kann (vgl. Weinberger 2011: 22). Dabei verweist Rogers vor allem auf die Wichtigkeit der gegenseitig, spürbaren Authentizität (Kongruenz), Offenheit, Wertschätzung und Anerkennung. Aufgrund der bereits vorhandenen, positiven Beziehung zwischen dem SPiA und der Klientin im Vorfeld des Gespräches, sind einige Voraussetzungen für ein funktionierendes Arbeitsbündnis gegeben (ebd.: 31) Eine solche Beziehungsbasis zwischen dem SPiA und der Klientin erhöht also die Chance, dass die Klientin sich trotz Konfrontation und Kritik auf das Gespräch einlassen wird.

Wie wirkt sich die immer wiederkehrende Erfahrung von Kritik und Konfrontation auf das Innenleben einer Person aus?

Wird eine Person mit ihrem Fehlverhalten und Misserfolgen konfrontiert, löst das erfahrungsgemäss überwiegend negative Gefühle aus. Albert Bandura hat 1977 das Konzept der Selbstwirksamkeit entwickelt. In dem zeigt er auf, wie unterschiedlich jeder Mensch die eigenen Kompetenzen einschätzt, die zur Bewältigung von Herausforderungen im täglichen Leben zur Verfügung stehen (vgl. Otto/ Thiersch: 2011: 323). Es muss also davon ausgegangen werden, dass sich Personen aufgrund vieler negativer Erfahrungen und immer wiederkehrender Kritik am eigenen Verhalten selbst schnell als unfähig und inkompetent erleben. Klientin X hat sich während ihrer Probezeit im Wohnheim Ziele gesetzt und wurde im Verlauf ihres Aufenthaltes (aber auch schon in ihren früheren Heimaufenthalten) wiederholt mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert. Im Auswertungsgespräch kann sie zwar alle Zielvereinbarungen genau benennen, tut sich dann aber schwer, ihren Teil zur Problemlösungsstrategie beizusteuern. Sie glaubt nicht mehr daran, selbst etwas bewirken zu können. Es muss davon ausgegangen werden, dass sie sich selbst bereits aufgegeben hat und nicht mehr an eine Weiterführung des Aufenthaltes glaubt. Folglich wird ihre Resignation während des Gespräches deutlich spürbar.

Weitere Quelle zur Selbstwirksamkeit: http://lexikon.stangl.eu/1535/selbstwirksamkeit-selbstwirksamkeitserwartung/

5.2      Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

Wie wird ein Konfrontations- und Kritikgespräch sinnvoll eröffnet?

Nach Widulle ist in einem kritisch-konfrontativen Gespräch die Bestimmung des Kontexts wichtig: Um was geht es im Gespräch überhaupt? Obwohl Klientin X im Vorfeld nicht mit dem Gespräch rechnen konnte und sich dementsprechend von der Nachricht eines bevorstehenden Gesprächs etwas überrumpelt zeigt (erste Sequenz), wird ihr bereits im Erstkontakt klargemacht, dass die Zielvereinbarungen ausgewertet werden sollen. Der Kontext – Klärung der Zielvereinbarungen – ist somit schon von Anfang an klar definiert. (vgl. Widulle 2011: 220f.) Aus der Beratung ist bekannt, dass offene Fragen zu Beginn wichtig für den weiteren Verlauf eines Gespräches sind. Durch offene Fragen soll der Gesprächspartner zur Selbstexploration animiert werden. Heisst, dass dem Gesprächspartner mit offenen Fragen Raum geboten wird, um eine aktive, offene Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben zu führen und eigene Empfindungen benennen zu können. In der zweiten Sequenz eröffnet der PSA das Gespräch mit einer Frage über die einzelnen Zielvereinbarungen. Klientin X antwortet ausführlich und kann alle Zielvereinbarungen genau benennen. Das Gespräch kommt ins Rollen. Der PSA bietet der Klientin mit seiner Frage somit die Möglichkeit, sich mit ihren eigenen Wahrnehmungen ins Gespräch einzubringen. Durch die offene Frage fühlt sich die Klientin frei, selbst Stellung zu beziehen.

Wie kann der SPiA mit seiner Betroffenheit umgehen?

Nach Carl Rogers ist Kongruenz (umgangssprachlicher: Authentizität) eines der wichtigsten Voraussetzung in einem therapeutischen Beratungsgespräch. Gemeint ist damit, dass auch der Berater als Person spürbar sein darf und sich selbst und seinen Empfindungen gegenüber offen ist (vgl. Weinberger 2011: 62). In der Situation mit Klientin X hätte der SPiA seine Gefühle (Betroffenheit) somit nicht nur wahrnehmen, sondern auch ansprechen können. Die eigenen Empfindungen spiegeln, um der Klientin zu zeigen, dass auch ihm das Gespräch nicht leicht fällt. Ausserdem hätte er die spürbare Verzweiflung und Trauer der Klientin ansprechen können: „Du wirkst bedrückt…“, „Ich sehe, dass dich die gesamte Situation traurig macht…“. So hätte sich die Klientin in ihrer Hilflosigkeit möglicherweise verstanden und unterstützt gefühlt und das Gespräch hätte eine andere Dimension angenommen.

5.3      Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

Welchen Zweck erfüllt die gemeinsame Vorbereitung auf das Gespräch mit der Klientin?

Der gegenseitige Austausch zwischen SPiA und PSA vor dem Gespräch bietet die Gelegenheit, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln. Die Ziele und Vorgehensweisen werden schon im Vorfeld benannt, so dass beide von der gleichen Ausgangslage ins Gespräch einsteigen können. Dieser kooperative Austausch ermöglicht es der PSA sowie dem SPiA, sich während des Gesprächs gegenseitig zu stützen. Beide ziehen am gleichen Strang. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die gemeinsame Vorbereitung den Gesprächsführenden Halt und Sicherheit gibt, was ihnen in schwierigen Gesprächssituationen flexiblere Reaktionsmöglichkeiten erlaubt.

Warum wird das Gespräch frühzeitig beendet? Warum bleiben der PSA und der SPiA nicht hartnäckiger?

Die Erfahrung hat gezeigt, dass es wenig produktiv ist, Jugendliche die sich während eines Gespräches komplett verweigern, immer wieder ins Gespräch einbinden zu wollen. Sinnvoller ist es, das Gespräch dann frühzeitig zu beenden, um sich nicht im Kreis zu drehen und sich am Gespräch aufzureiben. Hier gilt es die „Grenzen der Gesprächsführung“ auch akzeptieren zu dürfen/ können (vgl. Widulle 2011: 189). Entscheidend ist aber die Reflexion nach dem Gespräch (Haltung: ‚Nach dem Gespräch ist vor dem Gespräch’) Es geht dabei um die Suche nach Gründen für das verweigernde Verhalten der Klientin. Hinterfragen: Hat sich die Klientin bewusst dafür entschieden, sich dem Gespräch zu entziehen, oder entsteht die Resignation aus einer Hilflosigkeit heraus?

Warum stellt der PSA vor dem Gespräch die Stühle in ein Dreieck?

Das Aufstellen der Stühle in ein Dreieck dient der Gesprächsatmosphäre. Vor allem bei Konfrontationsgesprächen kann es sein, dass frontal platzierte Stühle eine negative Wirkung aufs Gespräch erzeugen. Es besteht das Risiko, dass sich Jugendliche nebst der verbalen Konfrontation auch ‚physisch’ eingeengt fühlen und sich dann schneller von den Gesprächsführenden abwenden, oder stärkeren Widerstand zeigen (vgl. Weinberger 2011: 130). Das Stühle-Dreieck mindert das Bild einer offensiv ausgetragenen Konfrontation und wird darum auch bewusst vom PSA so eingesetzt.

5.4      Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

Um die Jugendlichen in ihrer Probezeit angemessen zu begleiten und zu unterstützen, baut die Institution auf eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den drei Säulen Sozialpädagogik, Therapie und Schule. Alle drei Fachrichtungen nehmen die im Eintrittsgespräch erarbeiteten Zielvereinbarungen als Grundlage der Arbeit mit den Jugendlichen. In regelmässigen Abständen werden die Ziele in einem formellen Gespräch gemeinsam mit den Jugendlichen erörtert und evaluiert. Läuft der Prozess der Probezeit nicht wie gewünscht – d.h. Ziele sind mehrheitlich nicht umsetzbar – werden die Jugendlichen mit der Situation konfrontiert und Lösungsstrategien erarbeitet. Diese Konfrontationsgespräche liegen im Aufgabenbereich der Sozialpädagogik und werden aufgrund der Grösse des Sozialpädagogen-Team entweder von der zuständigen Bezugsperson, oder aber vom Teamleiter durchgeführt. Die Praktikantin / der Praktikant kann auf Anfrage der gesprächsführenden Person dem Gespräch beigezogen werden.

5.5      Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?

Die Fähigkeit schwierige Gespräche zu führen und sich dabei bewusst zu werden, dass das Anbringen von Kritik und die Konfrontation einer Klientin mit ihren Problemen, viele Gefühle auslöst. Die Fähigkeit mit Zielvereinbarungen zu arbeiten und sich in einem Hilfeprozess daran zu orientieren, was sich die Klientin/ der Klient selbst vorgenommen hat. Aber auch die Fähigkeit, Grenzen der Gesprächsführung zu akzeptieren und zu ertragen, dass nicht jedes Gespräch den gewünschten Verlauf nimmt. Sich und das eigene Verhalten im Nachhinein hinterfragen zu können.

5.6      Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

Gesprächsführenden und die Klienten ungestört bleiben. Die Wohngruppe bietet dafür genügend Räumlichkeiten, die als Rückzugsmöglichkeiten genutzt werden können. Vor jedem Gespräch müssen die zeitlichen Ressourcen geklärt werden. Gespräche sind vor allem dann einzuplanen, wenn kein hektischer Betrieb auf der Wohngruppe herrscht und genügend Fachkräfte anwesend sind (Handlungsfähigkeit auf der Gruppe wahren). Wichtige Gespräche sind zudem zu dokumentieren und in den Akten abzulegen, damit sich alle Teammitglieder (auch interdisziplinär) jederzeit die wichtigsten Informationen zum Fall einholen können.

5.7      Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?

Grundsätzlich besteht der Auftrag der Wohngruppe darin, die Jugendlichen zu fördern und sie in ihrem täglichen Leben zu begleiten, um ihnen die Eingliederung in die Gesellschaft und Berufswelt zu ermöglichen. „Soziale Arbeit hat Menschen zu begleiten, zu betreuen oder zu schützen und ihre Entwicklung zu fördern, zu sichern oder zu stabilisieren.“ Die Wohngruppe arbeitet stark mit dem Grundsatz der Selbstbestimmung. Die Jugendlichen werden in ihren Entscheidungen ernst genommen und/aber auch daran gemessen. Sie werden darin bestärkt, Eigenverantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und die Konsequenzen ihres Handelns selbst zu tragen. „Selbstbestimmung: Das Anrecht der Menschen, im Hinblick auf ihr Wohlbefinden, ihre eigene Wahl und Entscheidung zu treffen, geniesst höchste Achtung, vorausgesetzt, dies gefährdet weder sie selbst noch die Rechte und legitimen Interessen Anderer.“ Die Professionellen der Sozialen Arbeit achten den Datenschutz und die Privatsphäre der Jugendlichen. „Die Professionellen der Sozialen Arbeit gehen sorgfältig mit Personendaten um. Datenschutz und Schweigepflicht sind für sie von hoher Priorität. Mit der Anzeige- und der Zeugnispflicht gehen sie zurückhaltend um.“ Die Professionellen der Sozialen Arbeit arbeiten zudem mit dem Grundsatz der Achtung und Wertschätzung. Kein Jugendlicher der Wohngruppe wird aufgrund seines Störungsbildes und Verhaltens diskriminiert und/oder benachteiligt. Die Professionellen der Sozialen Arbeit wissen um den Wert der Kooperation. Sie tun ihr Möglichstes, dass den Jugendlichen ein optimales Hilfeangebot zur Verfügung steht. Dafür sorgen sie sich um eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit. „Die Professionellen der Sozialen Arbeit kooperieren im Hinblick auf die Lösung komplexer Probleme interdisziplinär und setzen sich dafür ein, dass Situationen möglichst umfassend und transdisziplinär in ihren Wechselwirkungen analysiert, bewertet und bearbeitet werden können.“

Quelle: http://www.avenirsocial.ch/cm_data/Do_Berufskodex_Web_D_gesch.pdf

  • Autonomie und Integrität der Klientel werden gewahrt. Gleichzeitig werden bestehende Rahmenbedingungen sowie allfällige Konsequenzen von Entscheidungen transparent gemacht und erklärt.
  • PSA begegnet der Klientel in einer ressourcen- und lösungsorientierten Haltung: Der Fokus liegt auf den Stärken der Klientel, auf dem, was bereits gut funktioniert und erreicht wurde bzw. auf Ressourcen und Erfahrungen, welche der Klientel nächste Entwicklungsschritte ermöglichen (Motivation und Ressourcen stärken)
  • PSA verfügt über das methodische Handwerkszeug, welches ihm ermöglicht, der Klientel auf der Beziehungsebene wertschätzend zu begengen und auf der Sachebene Herausforderungen und Lernfelder klar zu erklären
  • PSA ist fähig, durch geeignete Gesprächsführung die Klientel in die Arbeitsbeziehung einzubinden bzw. eine bestehende Arbeitsbeziehung zu stärken und Partizipation und Kooperation zu ermöglichen
  • Alle an der Kooperation beteiligten Vertrauenspersonen der Klientel (bspw. Eltern) sowie Fachpersonen aus der intra- und interprofessionellen Zusammenarbeit sind am Standortgespräch beteiligt. Das weitere Vorgehen und Verantwortlichkeiten sind ausgehandelt und geklärt
  • Die Klientel fühlt sich transparent informiert und in punkto eigenem Erleben, eigener Sichtweise und eigenem Standpunkt ernst genommen und gehört. Allfällige Entscheidungen – auch gegen den Willen der Klientels – erscheinen nachvollziehbar und stossen auf grösstmögliche Akzeptanz. Die Klientel weiss, welches die nächsten Schritte sind und wer welche Aufgaben übernommen hat
  • Der künftige Entwicklungsbedarf ist ausgehandelt, realistische Ziele gemäss SMART-Kriterien sind vereinbart

Der anfängliche Widerstand und die Unmotiviertheit des Klienten wird angenommen und akzeptiert. Auf die vom Klienten beannten Ziele wird aufgebaut, damit kann Motivation und Selbstverantwortung für eigenes Verhalten gestärkt werden. Dem Klient wird damit Autonomie über eigene Lebenssituation zugesprochen. Dem PSA gelingt es, eine professionelle Beziehung zum Klienten aufzubauen. Ersichtlich ist, dass der PSA nicht eine fürsorgliche Rolle mit gut gemeinten Ratschlägen übernimmt, sondern die Selbstverantwortung dem Jugendlichen abgibt.

  • In der dritten Sequenz fragt der SPiA nach, ob Klientin X der Meinung sei, ihre Ziele erreicht zu haben. Nimmt man die Klientenzentrierte Gesprächsführung (Carl Rogers) als Vorbild, so ist die Frage des SPiAs hier etwas ungeschickt gewählt. Der Klientin X wird nämlich so wenig Raum für eine Antwort gegeben. Ihre Antwort: „Ich glaube nicht“ zeigt auf, dass sie sich durch die Fragestellung eingeengt fühlt (vgl. Weinberger 2011: 105). Eine mögliche, offene Frage wäre hier somit gewesen: „Was geht in dir vor, jetzt, wo du alle Zielvereinbarungen so genau benannt hast?“ oder „Mit welchen Zielen hast du dich bis anhin schwer getan, welche hast du bereits erreicht?“ Diese Fragestellungen hätten die Klientin dazu herausgefordert, offener und ausführlicher zu antworten.
  • Der PSA und SPiA führen das Konfrontationsgespräch nach der Haltung: Nicht die Person, sondern das Verhalten steht im Fokus der Kritik. Diese Haltung wird während des Gesprächs jedoch nicht deutlich. Gerade weil bekannt ist, dass die Klientin ein tiefes Selbstwertgefühl besitzt, hätte der SPiA ihr diese Haltung im Gesprächsverlauf klarmachen können/müssen, um zu verhindern, dass sich die Klientin hintergangen oder minderwertig fühlt und sich dem Gespräch entzieht.
  • In der klientenzentrierten Gesprächsführung wird der Kongruenz (auch Authentizität) viel Bedeutung beigemessen (vgl. Weinberger 2011: 62). Nach Carl Rogers Theorien hätte der SPiA demnach der Klientin seine eigenen Empfindungen während des Gespräches spiegeln sollen/ können. Er hätte ihr seine Betroffenheit zur Verfügung stellen müssen, mit der Begründung, dass auch er sich mit der Gesamtsituation schwer tut. Zudem hätte der SPiA seine Beobachtungen (Verzweiflung, Wut, Trauer der Klientin) ansprechen können.
  • „Empathisches Verstehen bezieht sich aber nicht nur auf die Gefühle, die der Klientin im Moment zugänglich sind, die sie explizit nennt, sondern auch auf die ‚neblige Zone am Rande der Gewahrwerdung’, d.h, Empfindungen, die die Klientin vielleicht irgendwie spürt, die sie andeutet, die sie aber noch nicht in Worte fassen kann“. (Weinberger 2011: 39).

Zurück zu den Schlüsselsituationen