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Positive Erfahrung ermöglichen / Eltern-Kinder-Quartiertreff

  • Die Situation kann zum Motivationsaufbau für zu erreichende Ziele im professionellen Kontakt genutzt werden.
  • Die Situation kann den Boden für anstehende Veränderungen bieten.
  • Die PSA ermöglicht der Klientel Vertrauen in professionelle Beziehungen und/oder in eigene Fähigkeiten zu fassen, indem auf einer oder beiden Ebenen für kleine positive Erfahrungen gesorgt wird.
  • Es bietet sich die Möglichkeit Fähigkeiten der Klient*innen zu nutzen.
  • Die Situation ist geeignet eine Gegenerfahrung zu alten, negativen Prägungen und Beziehungserfahrungen zu ermöglichen

Kontext

Die Situation spielt sich in einem offenen Quartiertreff für Eltern mit Kindern im Vorschulalter ab. Der Treff fördert die Vernetzung von Familien aus dem Quartier. Die Professionellen der Sozialen Arbeit (PSA) können Eltern beraten, an weitere Stellen vermitteln oder ihnen verschiedene Informationen zu den Themen Familie, Kindheit und Elternschaft in der Schweiz zugänglich machen.

Ausgangslage

Am Nachmittag, kurz vor Öffnung, kommen eine Frau und ihr Kind in den Treff. Die PSA erkennt die beiden, weil sich die Mutter am Morgen schon telefonisch gemeldet und sich erkundigt hat, ob sie mit ihrer Tochter trotz deren Behinderung den Treff besuchen könne. Die PSA erklärte ihr am Telefon, dass im Treff alle Menschen willkommen seien. Die Frau erkundigte sich dann noch, ob die Mitarbeitenden des Treffs Erfahrungen mit behinderten Menschen hätten. Als die PSA dies bestätigte, sagte die Mutter erfreut, sie werde am Nachmittag vorbeikommen.

Erste Sequenz : Erstkontakt im Eltern-Kinder-Quartiertreff

Die PSA begrüßt beide und zeigt ihnen die Räume. Da sie zu diesem Zeitpunkt allein im Treff ist und noch keine weiteren Besuchenden da sind, kann sie sich viel Zeit für den Erstkontakt nehmen und in aller Ruhe auf die vielen Fragen der Mutter eingehen. Die Tochter findet sich schnell in den Räumen zurecht und spielt selbstständig. Dabei nutzt sie das vielfältige Angebot an Spielsachen. Die PSA stellt das Programm des Treffs vor und weist auf Angebote hin, die für die Besucherin besonders interessant sein könnten. Die Frau ist sehr interessiert und freut sich, dass sich ihre Tochter so schnell wohlfühlt und spielt.

Reflection in Action

Emotion PSA: Nach dem Telefongespräch am Morgen war die PSA verunsichert und verwundert über die Fragen der Mutter. Sie war unsicher und gespannt, wie sie mit dem Kind würde kommunizieren können. Beim Eintreffen der Mutter mit ihrer Tochter am Nachmittag entspannte sie sich und war erleichtert, dass sie genügend Zeit und Raum für eine individuelle Einführung hatte.

Emotion Klientin (K): Anfänglich verunsichert, skeptisch, schüchtern, nervös; dann erwartungsvoll, interessiert, neugierig, freudig über die Aufmerksamkeit.

Kognition PSA: Ich muss die Begrüßung gut gestalten, denn der erste Eindruck, den ich der Klientin vermittle, ist für den Vertrauensaufbau sehr wichtig. Ich will mich empathisch und offen zeigen und möglichst offene Fragen stellen. Dann muss ich ihr den Einstieg erleichtern und Orientierung bieten. Ich zeige ihr den Treff und gebe ihr Informationen zum Programm, vielleicht kann ich herausfinden, was ihre Interessen und die ihrer Tochter sind.

Zweite Sequenz: Einfinden und Aktivitäten

Nach einiger Zeit treffen weitere Mütter und ein Vater mit ihren Kindern ein. Auch eine zweite Mitarbeiterin erscheint und begrüßt die Besuchenden. Die beiden Mitarbeiterinnen schenken abwechslungsweise allen Besuchenden des Treffs ihre Aufmerksamkeit und kehren ab und zu zur neuen Besucherin zurück, um für Fragen und Anliegen ansprechbar zu bleiben. Die Kinder gehen offen und entspannt aufeinander zu. Die Eltern sprechen miteinander über Alltägliches. Die PSA beginnt mit der vorgesehenen Singrunde, und ihre Kollegin organisiert verschiedene Bastelaktivitäten. Die beiden neuen Besucherinnen machen bei den Aktivitäten mit, wobei die Mutter ihre Tochter beim Basteln unterstützt. Beim gemeinsamen Singen singt ihre Tochter laut mit und schlägt aufgeregt auf das Tamburin. Auch das Basteln scheint beiden sehr zu gefallen.

Reflection in Action

Emotion PSA: Gespannt, wie die anderen Treffbesuchenden auf die Mutter und vor allem auf deren Tochter eingehen. Aufmerksam gegenüber den Bedürfnissen der Besuchenden und zurückhaltende Beobachtung des Geschehens. Freudig über die Partizipation der Klientin und darüber, dass die Stimmung sich stark hebt, als das Mädchen beim Singen so freudig mitmacht.

Emotion K: Nervös beim Eintreffen der weiteren Besuchenden, erleichtert über unkomplizierten Kontakt, fühlt sich entspannt und akzeptiert.

Kognition PSA: Beim Eintreffen der Kollegin informiere ich sie kurz über die anfängliche Unsicherheit der Klientin. Ich lasse Mutter und Kind genug Raum, um sich selbstständig zurechtzufinden. Ich muss unbedingt noch eine andere Aufgabe vor dem Singen erledigen. Ich werde versuchen, möglichst viele beim Singen zum Mitmachen zu animieren. Ich weiß schon, mit welchem Lied ich beginne, das klappt meistens gut und löst die Stimmung.

Dritte Sequenz: Erfahrungsaustausch und Öffnung

Nach einiger Zeit kommt die neue Besucherin auf die PSA zu und sagt ihr, dass sie sich sehr über die freundliche Aufnahme im Treff freue. Sie erzählt, dass sie bereits in anderen Treffs vorbeigeschaut habe, in denen sie und ihre Tochter eher abgelehnt wurden. Sie habe das Gefühl, sie seien aufgrund der Behinderung ihrer Tochter nicht erwünscht gewesen. Deshalb freue sie sich umso mehr, dass sie nun einen Treff gefunden habe, in dem ihre Tochter und sie sich wohlfühlen könnten.

Reflection in Action

Emotion PSA: Etwas unter Zeitdruck, leicht gestresst, dann aufmerksam beim Zuhören, Erstaunen über die Erfahrungen der Frau, Freude über das Vertrauen und diesen ersten positiven Kontakt.

Emotion K: Dankbar, mitteilsam, vertraut den Mitarbeitenden, Freude, Geborgenheit.

Kognitiv PSA: Ich muss noch aufräumen, aber entscheide mich, mir Zeit für die Frau zu nehmen. Ich lasse sie erzählen und höre aufmerksam zu. Warum sie wohl so schlechte Erfahrungen in anderen Treffs gemacht hat?

Vierte Sequenz: Verabschiedung

Während ihre Tochter eine Weile in der Spielecke mit den Autos spielt, schaut sich die Frau noch einmal das Programm am Schwarzen Brett an. Die PSA räumt ein paar Sachen auf, geht dann auf die Frau zu und fragt sie, ob sie etwas sehe, was sie interessiere. Nachdem die PSA ein paar Fragen zu den Angeboten beantworten kann, schreibt sich die Frau für drei Anlässe ein. Dann sagt sie, sie müsse noch einkaufen, und geht zur Tochter. Beide verabschieden sich von den anderen Treffbenutzenden, ziehen sich an und kommen auf die PSA zu, um sich auch von ihr zu verabschieden. Die Mutter dankt und sagt ihrer Tochter, sie solle zum Abschied winken. Die PSA verabschiedet sich, winkt dem Mädchen lächelnd zu und hält ihnen die Türe auf.

Reflection in Action

Emotion PSA: Etwas gestresst wegen der anderen Aufgaben, aufmerksam beobachtend, große Freude beim herzlichen Abschied.

Emotion K: Interessiert an den Angeboten, erfreut über das offensichtliche Wohlbefinden der Tochter. Freudig und dankbar beim Verabschieden.

Kognition PSA: Ich beginne mit dem Aufräumen, aber behalte das Geschehen im Auge. Ob die Frau noch Fragen hat? Ich will die beiden freundlich verabschieden. Das lief am Ende aber gut. Offenbar haben wir etwas richtig gemacht heute. Was lief da wohl in den anderen Treffs?

Erklärungswissen

Warum verhält sich die Klientin äusserst vorsichtig, nervös und unsicher beim ersten Treffbesuch?

Behaviorismus: Der Prozess der klassischen Konditionierung beschreibt, wie Reaktionen auf bestimmte Reize als Erfahrungen gespeichert werden (Zimbardo & Gerrig, 2008). Bei Wiederholungen werden diese Reaktionen im Sinne einer Erwartungshaltung verinnerlicht. Diese können positiver oder negativer Art sein und lassen sich nur durch neue Erfahrungen verändern. Operantes Konditionieren nach Skinner (vgl. a. a. O.) bezeichnet Lernen durch willkürliches Verhalten. Dabei steht Lernen aufgrund der Konsequenzen eines Verhaltens im Zentrum. Lernen im Sinne der operanten Konditionierung ist einerseits möglich, wenn das Individuum als Konsequenz eines Verhaltens einen angenehmen Zustand herstellen oder einen unangenehmen Zustand vermeiden will. Dabei gilt es, zwei Verstärkerphänomene zu unterscheiden: Wenn dem Verhalten ein positives Ereignis (positiver Verstärker) oder das Ausbleiben eines negativen Ereignisses (negativer Verstärker) folgt, kommt es zu einer positiven Konsequenz. Lernen im Sinne der operanten Konditionierung kann auch durch Bestrafung stattfinden. Bestrafungen als Folge eines Verhaltens können entweder durch ein unangenehmes Ereignis oder durch das Ausbleiben eines positiven Verstärkers erfolgen.

Auf die Situation übertragen, hilft diese Theorie zu verstehen, warum die Frau sich zuerst erkundigt, ob sie im Treff willkommen sei, und beim Eintreffen nervös war. Die Frau erzählt, dass sie sich bei anderen Treffbesuchen unwohl gefühlt habe. Sie fühlte sich dort nicht akzeptiert. Diese Erfahrung der Diskriminierung aufgrund der Behinderung der Tochter in verschiedenen Treffs könnte möglicherweise zu einer Konditionierung geführt haben. Deshalb geht sie eher vorsichtig und unsicher auf eine neue ähnliche Situation zu. Sie hat gelernt, dass ihren Treffbesuchen (eigenes Verhalten) unangenehme Ereignisse folgten. Mit dieser Erwartungshaltung ruft sie deshalb zuerst im Treff an, bevor sie vorbeigeht. Um diese Konditionierung (Treff = Unwohlsein) zu löschen, darf der Bestrafungsreiz (Diskriminierungserfahrung) nicht mehr auf das Verhalten (Treffbesuch) folgen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Frau beim ersten Treffbesuch keine Ablehnung erfährt und sich so auf die neue Situation einlässt. Damit wird eine neue, positive Koppelung aufgebaut, die im Laufe der Zeit die alte ersetzt. Wenn sie einige Male positiv verstärkt wird, schwächt sich die erlernte gekoppelte Reaktion ab. Folgt aber auf einen Treffbesuch erneut ein ablehnendes Verhalten, wird die negative konditionierte Reaktion wieder aktiviert, und es braucht erneut eine Löschung der Konditionierung.

Wieso bringt die Mutter trotz negativer und diskriminierender Vorerfahrungen die Motivation auf, erneut einen Treff zu besuchen? 

Selbstwirksamkeit: Das Konzept der Selbstwirksamkeit wurde von Albert Bandura geprägt (vgl. Zimbardo & Gerrig, 2008). Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung, auftretende Hindernisse oder Herausforderungen überwinden zu können. Selbstwirksamkeit wird als wesentliche Voraussetzung für jegliche Art der Verhaltensänderung angesehen, denn sie beeinflusst die Anstrengungsbereitschaft und zeigt, wie weit das gewünschte Ziel erreicht werden kann (vgl. a. a. O.).

In der beschriebenen Situation ist es für die Klientin wichtig, Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu fassen, um überhaupt zu ermöglichen, dass sie einen weiteren Treffbesuch mit ihrer Tochter wagt, nachdem sie erste negative Erfahrungen gemacht hat. Weil sie überzeugt ist, diese Herausforderung meistern zu können, bringt sie die Bereitschaft auf, sich auf diesen neuen Treff und deren Mitarbeitende und Besuchende einzulassen. Hätte die Klientin das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten nicht, wäre sie mit der Situation überfordert, und ihre Motivation würde schwinden.

Motivationstheorien – eine Zusammenfassung

Maslow besagt, dass alle einen Antrieb (Motivation) haben. Motivation wird beschrieben als eine «aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand oder ein Streben nach Wirksamkeit und der Organisation von Zielengagement und Zieldistanzierung.» Motivation ist ein Zusammenspiel aus Kognition (Bewertung) und der emotionalen Vermittlung. Diese beiden Definitionen werden genannt, weil es keine einheitliche Motivationstheorie gibt. Die entstanden Theorien sind aus verschiedenen Perspektiven, spielen aber ineinander (vgl. Klug/Zobrist 2021: 17). Die subjektiven Beurteilungen einer Situation sind massgeblich für Motivationsbildung. Subjektiv im Sinne der genetischen Voraussetzung und der sozialen Lernerfahrungen. Daher folgen unterschiedliche Reaktionen auf die gleiche Situation. Das heisst durch die Beurteilung entstehen Erwartungen, die wiederum zu einer Handlung führen. Der beschriebene Prozess hat immer ein Ziel, diese werden verfolgt je nach Bewertung der Wichtigkeit der Ziele. Motivation ist abhängig von der Wechselwirkung zwischen situativen Anreizen und persönlichen Präferenzen (vgl. ebd.: 18).

Es wird zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterschieden:

  • Intrinsische Motivation: Der Wunsch oder die Absicht die Handlung auszuführen ist aufgrund der Handlung selbst. Die Handlung allein ist spannend und zufriedenstellend. Es ist ein Ausdruck des Bedürfnisses nach Kompetenz und Selbstbestimmung.
  • Extrinsische Motivation: Die Handlung wird nur ausgeführt um entweder negative Folgen zu verhindern oder positive Folgen zu erreichen. Sie wird nur ausgeführt solange externer Druck besteht (vgl. ebd.: 19).

Extrinsische Motivation kann sich in intrinsische Motivation verändern, dazu müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Folgende Aspekte können helfen:

  • Förderung der Selbstbestimmung und Autonomie
  • Selbstwirksamkeitserfahrungen steigern
  • Die Anforderungen sind so gestellt, dass sie mit den zur Verfügung gestellten Ressourcen erfüllt werden können.

Das Ziel für die Beratung ist, im Prozess immer wie weniger extrinsische Motivationshilfen anzubieten, sondern dass das Klientel von sich aus das Ziel erreichen möchte, um so in den Einklang mit sich selber und seiner Umwelt zu kommen (vgl. ebd.: 20).

Drei Motivationsklassen können unterschieden werden:

  • Behandlungsmotivation: Entsteht im Zusammenspiel von Leidensdruck und der Möglichkeit diesen Leidensdruck zu verringern.
  • Veränderungsmotivation: Klient*in sieht ein, dass sein Denken und Handeln sich ändern muss. Die Veränderungsmotivation ist nicht vorauszusetzen, meistens entsteht sie im Prozess.
  • Beziehungsmotivation: Eine gute Arbeitsbeziehung zwischen Klient*in und PSA ist massgebend für die Motivationsentwicklung und/oder -steigerung (vgl. ebd.: 25f).

Schlussendlich fliessen die drei Klassen ineinander, denn es braucht alle um einen Prozess anzuregen (vgl. ebd.: 27).

Relationierung Motivationstheorien

Die negativen und diskriminierenden Erfahrungen, welche die Mutter bereits machen musste, wurden von ihr subjektiv beurteilt. Das heisst die Erfahrungen waren zwar schwierig für sie, trotzdem ist ihre intrinsische Motivation den Zielzustand zu erreichen grösser. Sie möchte, dass ihre Tochter in ihre Umgebung integriert wird und Peer-Group Erfahrungen machen kann. Auch sie wünscht sich Zugehörigkeit trotz Diversität ihrer Familie. Die Mutter scheint alle drei Motivationsklasse zu zeigen:

  • Behandlungsmotivation: Trotz negativer Erfahrungen sucht sie weiter nach Möglichkeiten der Integration oder sogar Inklusion.
  • Veränderungsmotivation: Sie versucht ihre Situation trotz Rückschlägen zu verändern.
  • Beziehungsmotivation: Die Mutter erkundigt sich vorher bei der PSA und stellt interessiert Fragen zum Eltern-Kinder-Treff. Sie möchte Vertrauen aufbauen.

Kommunikationstheorie: das Vier-Ohren-Modell: Schulz von Thun (Thomann & Schulz von Thun, 2009) stellt fest, dass über Kommunikation verschiedene Nachrichten gesendet und empfangen werden. Diese Ebenen werden auch als »vier Seiten einer Nachricht« bezeichnet. Der Empfänger benötigt für die Entschlüsse- lung der Botschaft »vier Ohren«, um alle vier Ebenen einer Nachricht (Sachverhalt, Selbstoffenbarung, Appell, Beziehungsaussage) interpretieren zu können. Was zwischenmenschliche Kommunikation so kompliziert macht, ist, dass der Empfänger prinzipiell die freie Auswahl hat, auf welche Seite der Nachricht er reagieren will. Deshalb entstehen an dieser Stelle oft Probleme. Die Botschaft der Nachricht entsteht durch die Interpretation beim Empfänger. Je mehr Interpretationsspielraum der Sender lässt, desto mehr Fehlinterpretationen oder Missverständnisse können entstehen.

In dieser Situation hört die Sozialarbeiterin die Frage der Mutter am Telefon, ob sie mit ihrer Tochter in den Familientreff kommen könne, auf dem Sachverhaltsohr. Mit dem Selbstoffenbarungsohr hört sie, dass die Tochter behindert ist. Über das Appellohr vernimmt sie die Botschaft: »Bitte nimm uns auf«, und über das Beziehungsohr empfindet sie Misstrauen: »Verstehen Sie etwas vom Umgang mit Behinderten?«

Auch die Klientin hört mit allen vier Ohren. Über das Sachverhaltsohr vernimmt sie, dass der Eltern-Kinder-Quartiertreff für alle offen sei, über das Selbstoffenbarungsohr hört sie, dass die Sozialarbeiterin Erfahrung im Umgang mit Kindern mit einer Beeinträchtigung hat, und sie nimmt den Appell wahr, einfach mal vorbeizu- kommen. Endlich erschließt sich über das Beziehungsohr die Nachricht, dass die Sozialarbeiterin sie und ihre Tochter gerne kennenlernen würde.

Diskriminierung ist eine Form der Benachteiligung auf individueller oder gesell- schaftlicher Ebene. Wenn Menschen diskriminiert werden, geschieht dies aufgrund von Zuschreibungen und Vorurteilen, die sich auf soziale Merkmale wie Gender, Migrationshintergrund, Hautfarbe, Behinderung, Sexualität usw. beziehen. Diese Zuschreibungen sind kulturell geprägt und können mehr oder weniger bewusst sein. Sie bewirken, dass Menschen mit den negativ codierten Merkmalen als minderwertig gesehen werden (Burzan, 2007).

Die Klientin hat mit ihrer Tochter die Erfahrung einer individuellen Diskriminierung in einem anderen Treff gemacht. Vor einem erneuten Treffbesuch fragt sie deshalb nach, ob sie im Treff willkommen sei. Das Verhalten der PSA und der anderen Treffbesuchenden und die Reaktion der Klientin und ihrer Tochter – all dies lässt vermuten, dass sie die neue Situation nicht als diskriminierend erlebt hat.

Interventionswissen

Um sich ein Bild über mögliche Interventionen zu machen, erscheint es in dieser Situation zunächst einmal wichtig, das Erklärungswissen zu berücksichtigen. Es muss genau darauf geachtet werden, dass auch unbewusst keine Diskriminierung oder Andersbehandlung der Klientin oder ihrer Tochter stattfindet, um keine weitere negative Koppelung zu bewirken.

Wie kann die PSA kommunizieren, um erneute Diskriminierung und negative Koppelung zu vermeiden?

Im Erstgespräch ist daher der Vertrauensaufbau zentral. Für einen ersten Vertrauensaufbau muss einerseits die Atmosphäre stimmen, andererseits muss aber auch die Gesprächsführung durchdacht sein. Das Gesprächskonzept für das Erstgespräch von Wolfgang Widulle (2012) verweist auf die Begriffe der Empathie, Kongruenz, Akzeptanz und Wertschätzung aus der humanistischen Tradition (Klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers). Mit »Empathie« wird die Fähigkeit bezeichnet, Gedanken, Emotionen, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale des Gegenübers zu erkennen und zu verstehen. Dazu gehört auch die eigene Reaktion auf die Gefühle der anderen.

Weiter kann das Modell der gewaltfreien Kommunikation, das in den Siebzigerjahren von Rosenberg (2010) entwickelt wurde, Hinweise zu möglichen Interventionen bieten. Die Kommunikations- und Konfliktlösungsmethode verzichtet auf negative Äußerungen, Kritik und Beschuldigungen. Die Aufmerksamkeit wird auf Beobachtung, Gefühle, Bitten und Bedürfnisse der Beteiligten gerichtet. Wichtig dabei ist, Beobachtungen von Bewertungen zu unterscheiden. Gewaltfreie Kommunikation soll ermöglichen, eine zufriedenstellende Lösung zu finden, indem alle Beteiligten ihre Bedürfnisse und Wünsche äußern können.

In dieser Situation kann also durch Wertschätzung, Akzeptanz und Empathie ermöglicht werden, dass die Klientin keine Wiederholung der negativen Erfahrungen erfährt. Eine wertschätzende, nicht wertende Haltung gegenüber dem Erzählten ist von Bedeutung. Die Verwunderung über die Reaktion in anderen Quartiertreffs tat die Sozialarbeiterin zwar kund, aber sie verurteilte sie nicht. Durch das Stellen von offenen Fragen hat sie erreicht, dass die Klientin zu ihr in Beziehung treten und erzählen kann. Das Zuhören und eine anteilnehmende Neugier zeigen das Interesse der Sozialarbeiterin, die so auf das Gesagte eingehen kann. Damit wird der Vertrauensaufbau initiiert. Zusätzlich müssen Unklarheiten geklärt werden, und auch das Informieren über die Institution ist zentral, um Sicherheit und Orientierung zu vermitteln. Dabei ist es wichtig, offen und ehrlich zu sein, damit die Klientin Vertrauen fassen kann.

Zudem kann das Stellen von offenen Fragen im Erstgespräch dazu führen, dass die Klientin ihre individuellen Wünsche und Anliegen offenbart. Die Reaktionen der Klientin auf die Informationen zu den Angeboten des Treffs helfen der PSA einzuschätzen, welche Interessen die Klientin hat (Widulle, 2012). Die PSA muss aber darauf achten, unrealistische Wünsche zu benennen, damit nicht falsche Erwartungen geweckt werden.

Erfahrungswissen

Die PSA hat die Erfahrung gemacht, dass bei Besuchenden, die nur kurz vorbei- schauen oder in der Mütter- und Väterberatung waren, sich persönliches Ansprechen und direktes Einladen als sehr effektiv erweist. Personen, die so persönlich in den Treff eingeladen wurden, sind meistens auch in den Treff gekommen. Andere, mit denen die PSA nur kurz sprach, kamen seltener in die offenen Treffs. Deshalb hat sie die Mutter am Telefon ausdrücklich eingeladen.

In früheren Erstkontakten hat die PSA bemerkt, dass die Klienten oder Klientinnen nach dem ersten Gespräch etwas Zeit brauchen, um alle Informationen zur Institution und zu den Angeboten aufzunehmen, und dass später weitere Fragen oder Anliegen aufkommen. Wäre die PSA die ganze Zeit an der Seite der Mutter, würde sie deren eigene Überlegungen hemmen, und ihre Bedürfnisse würden nicht so differenziert zur Sprache gebracht.

Organisations- und Kontextwissen

Das Konzept des Treffpunkts besagt, dass er Identifikationsort für junge Familien, ältere Menschen, für Neuankömmlinge und für Alteingesessene sein soll. Zu den Grundangeboten gehören offene Treffs für Mütter und Väter mit ihren Kindern sowie Beratung und Unterstützung im Alltag. Die Nutzung des Treffs ist freiwillig. Verschiedene Leistungen, wie Beratungsangebote für die Eltern sowie Förderungsangebote für die Kinder, werden im Zentrum angeboten und können von allen Besuchenden in Anspruch genommen werden. Im Falle einer Mitgliedschaft im Elternverein sind die meisten Angebote verbilligt.

Im Team des Treffs informieren sich die Mitarbeitenden gegenseitig über neue Klienten oder Klientinnen und deren jeweilige Situation. Das ist in einem so kleinen Team sehr wichtig, da auch die andere Mitarbeitende so besser auf die Situation reagieren kann und der Klientin nicht nochmals alles erklären muss. Dies trägt dazu bei, dass sich die Klientin ernst und wichtig genommen fühlt.

Fähigkeiten

  • Offen, unvoreingenommen und neugierig auf fremde Menschen zugehen.
  • Ein Erstgespräch strukturiert führen.
  • Empathie und Einfühlungsvermögen zeigen und auch verbalisieren.
  • Erkennen, was die Person braucht und welche Bedürfnisse gedeckt werden können.
  • Realisierbare Ziele kooperativ entwickeln.
  • Eine professionelle Nähe aufbauen und dabei wissen, wie viel man von sich selbst in das Erstgespräch einbringen will, kann und soll.

Die PSA kann sich dank dem vorausgehenden Telefon auf den ersten Treffbesuch der Mutter mit ihrem Kind innerlich vorbereiten und strukturiert das Gespräch so, um eine erste Orientierung über Räume und Angebote des Treffs sicher zu stellen – verbal und nonverbal vermittelt die PSA Interesse an den Bedürfnissen der Klientin und lässt diese eigene Fragen formulieren und so den Ablauf und Inhalt des Gespräches mitgestalten.

Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen

Weil die offenen Treffs meist viele Besuchende anziehen, bleibt oft nicht lange Zeit für ein Einzelgespräch mit neuen Klienten und Klientinnen. Da nicht viele Räume zur Verfügung stehen, sind die Rückzugsmöglichkeiten beschränkt, und die Einführungsgespräche finden meist in Anwesenheit anderer Besuchenden statt.

Dadurch, dass die PSA sich durch das vorgängige Telefonat auf den ersten Treffbesuch der Klientin mit ihrem Kind vorbereiten kann, beide vor dem Eintreffen der anderen TreffbesucherInnen erscheinen und die Arbeitskollegin der PSA informiert ist, gelingt es, genügend Aufmerksamkeit und ungestörte Zeit für das Einzelgespräch mit der Mutter zu haben. Die Treffmitarbeiterinnen schenken allen Besuchenden ihre Aufmerksamkeit und sind mit ihnen abwechselnd in Gesprächen – dies bewirkt, dass auch die Mutter mit ihrem Kind sich ganz natürlich sowohl in die Gruppe einbringen als auch sicher sein kann, bei aufkommenden Fragen auf die PSA zukommen zu dürfen.

Wertewissen

In dieser Situation kommen Werte zum Ausdruck, die auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung beruhen. Diese Werte entsprechen demokratischen Gesellschaften und sind in vielen Verfassungen verankert.

Menschenbild: Die Mitarbeitenden arbeiten auf der Grundlage des humanistischen Menschenbildes, welches den Aspekten der Freiheit, der Wertschätzung, der Würde und der Integrität von Personen ein großes Gewicht beimisst, weshalb Vorverurteilungen oder eine Konzentration auf Defizite vermieden werden.

Folgende Grundwerte und Handlungsprinzipien des Berufskodexes (AvenirSocial, Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz, 2010) beschreiben, woraufhin die PSA ihr Handeln ausrichten:

Grundsatz der Gleichbehandlung (Teil 3, Artikel 8) “Menschenrechte sind jeder Person zu gewähren, unabhängig von ihrer Leistung, ihrem Verdienst, moralischen Verhalten, oder Erfüllen von Ansprüchen….”

Grundsatz der Partizipation (Teil 3, Artikel 8) “Die für den Lebensvollzug der Menschen notwendige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sowie Entscheidungs- und Handlungfähigkeit, verpflichtet zu Miteinbezug und Beteiligung der Klientinnen und Klienten, Adressatinnen und Adressaten.”

Grundsatz der Ermächtigung (Teil 3, Artikel 8 ) “Die eigenständige und autonome Mitwirkung an der Gestaltung der Sozialstruktur setzt voraus, dass Individuen[…….]ihre Stärken entwickeln und zur Wahrung ihrer Rechte befähigt und ermächtigt werden.”

Verpflichtung zur Zurückweisung von Diskriminierung (Teil 3, Artikel 9) “Diskriminierung, sei es aufgrund von Fähigkeiten, Alter [……..]körperlichen Mermalen[…..]kann und darf nicht geduldet werden.”

Ethisch begründete Praxis (Teil 4, Artikel 10) “Die Professionellen der Sozialen Arbeit gründen ihe Arbeit auf Vertrauen und Wertschätzung, sie informieren über ihre Möglichkeiten und Grenzen, ihre Arbeitsweisen und Methodenwahl, ihre Befugnisse und Kompetenzen […….]”

Alle Angebote und Veranstaltungen des Treffs sind für jeden Menschen frei zugänglich und gründen auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Menschen. Ziel der Inklusion im Treff ist die Ermächtigung und das Empowerment von Klienten und Klientinnen. 

  • PSA erkennt das Potential der Situation und nutzt sie, um eine beziehungs- bzw. selbstwirksamkeitsstärkende Erfahrung zu ermöglichen
  • Die Klientel geht gestärkt aus der Interaktion mit dem/der PSA hervor.
  • Die Klientel erfährt Unterstützung beim Erfahren und Erproben in noch ungewohnten Denk- und Verhaltensweisen.

Positive Erfahrung ermöglichen durch erfolgreiche Meisterung einer Aufgabe. Aufgrund der beobachteten und gefühlten Zufriedenheit der Klientin am Nachmittag kann davon ausgegangen werden, dass sie eine positive Erfahrung gemacht hat. Dies ist bedeutsam, weil sie dadurch die konditionierte Reaktion auf den Stimulus »Treff« verändern kann.

Inwiefern hat das Verhalten der PSA zu diesem Ergebnis beigetragen? Wenn wir dazu die verschiedenen Wissensressourcen betrachten, zeigt sich folgendes Bild: Kommunikationstheorie: Die PSA hat sich bemüht, klare Botschaften zu senden und auch die nonverbale Kommunikation zu beachten (z. B. als die Mutter beim Schwarzen Brett stand). Gewaltfreie Kommunikation: Diskriminierung ist eine Gewalterfahrung. Diese beruht darauf, dass die vier Ebenen der Kommunikation nicht beachtet werden. Es wird bewertet, interpretiert, nicht auf Bedürfnisse geachtet. Wenn Diskriminierung dadurch entsteht, dass das Gegenüber nicht verstanden wird, dann bewirkt Empathie das Gegenteil, nämlich Integration und Akzeptanz. Die PSA hat sich empathisch verhalten und so einen deutlichen Beitrag zur gelingenden Situation geleistet.

Inwiefern wurde bei der Klientin oder dem Klienten das Vertrauen in die Arbeitsbeziehung mit den Professionellen der Sozialen Arbeit gestärkt?

Die positive Erfahrung lässt vermuten, dass Vertrauen in die Arbeitsbeziehung mit der PSA aufgebaut werden konnte. Dies zeigt sich auch darin, dass die Klientin sich für weitere Angebote angemeldet hat. Inwiefern hat das Handeln der PSA dies beeinflusst? Durch die bewusste Gestaltung des Erstkontaktes konnte sie eine offene Atmosphäre schaffen. Sie unterließ es, Bewertungen zu äußern, und achtete aufmerksam auf die Klientin. Trotz ihrer anderen Aufgaben konnte sie sich auf die Bedürfnisse der Klientin einlassen. Durch ihre Achtsamkeit fiel ihr beispielsweise auf, dass sich die Frau am Schwarzen Brett über Angebote informierte, und sie vermochte es unaufdringlich, zur rechten Zeit mit weiteren Informationen zur Stelle zu sein.

Inwiefern wurde bei der Klientin die Selbstwirksamkeit gestärkt?

Durch die positive Erfahrung dieses Treffbesuchs konnte die Mutter die Erfahrung machen, dass ihre Strategie erfolgreich war. Nachdem sie schlechte Erfahrungen gemacht hatte, entschied sie sich, vor einem weiteren Besuch in einem anderen Treff anzurufen. Dies hat sie gemacht und die PSA so auf den Besuch vorbereitet. Wir können in diesem Fall annehmen, dass aufgrund der erfolgreichen Strategie auch die Selbstwirksamkeit der Klientin, das heißt ihr Glaube, eine Situation meistern zu können, erhöht wurde.

Inwiefern wurde die Selbstbestimmung der Klientin geachtet und führte zu einer Unterstützung beim Erfahren und Erproben in noch ungewohnten Denk- und Verhaltensweisen?

Der Treff bietet Angebote an, die allesamt freiwillig sind. Die Besuchenden können selbst auswählen, ob sie sie nutzen wollen oder nicht. Die Besuchenden wurden ermuntert, sich am Singen und Basteln zu beteiligen, aber die Teilnahme war freiwillig. Die Selbstbestimmung konnte in diesem Fall gewahrt werden.

Durch die Informationen über verschiedene Angebote im Treff, welche die PSA der Klientin vermittelte, konnte sie deren Selbstbestimmung erhöhen. Selbstbestimmung und Mitbestimmung verlangen, dass Klientinnen über die Sachlage genügend informiert sind, um überhaupt fundierte Entscheidungen treffen zu können. In diesem Sinne hat die PSA die Selbstbestimmung der Klientin unterstützt. Dies führte dazu, dass die Klientin darin unterstützt wurde, sich in neuen Verhaltensweisen zu erproben.

Würde die PSA noch einmal in dieselbe Situation geraten, würde sie vor allem reflektierter handeln. Sie versteht durch das Erarbeiten der Qualitätsstandards und der Ressourcen ihre Handlungen nun besser. Deshalb würde sie einige Themen in der Situation direkter ansprechen.

Die Wichtigkeit des Erstkontaktes, um eine Vertrauensbasis aufzubauen und eine Klientin langfristig zu gewinnen, ist ihr bewusster geworden. Das würde ihr Handeln in einer ähnlichen Situation nicht ändern, macht es aber reflektierter.

Das Anbieten verschiedener Aktivitäten zielt nun nicht mehr nur darauf ab, dass sich Klienten und Klientinnen im Treff wohlfühlen. Der PSA ist bewusst, dass damit vielfach auch frühere negative Konditionierungen gelöscht und positive Erfahrungen aufgebaut werden, was die Selbstwirksamkeit erhöht. Bei der Planung der Aktivitäten nimmt sie sich vor, die Klientinnen und Klienten mehr einzubeziehen und sie vermehrt partizipieren zu lassen, um so ihre Mitbestimmung zu erhöhen. Dieses neue Wissen ermöglicht eine differenziertere Beachtung individueller Bedürfnisse der Klientin. Auf die Wünsche und Bedürfnisse der Klientin einzugehen und eine empathische Gesprächsführung erscheinen unter diesem Aspekt umso wichtiger.

  • Klug, Wolfgang/Zobrist, Patrick (2021). Motivierte Klienten trotz Zwangskontext. Tools für die Soziale Arbeit. 3. Auflage. München: Ernst Reinhardt

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